BBMRI.at Legal Knowledge Base

Rechtliche Fragen und Antworten: Was sind die wichtigsten Bedenken bezüglich der Verarbeitung von Proben und Daten verstorbener Personen?

Aus datenschutzrechtlicher Sicht gelten für die Forschung mit Daten verstorbener Personen nicht viele Einschränkungen. Dennoch sind weitere ethische und rechtliche Überlegungen zu berücksichtigen. UNIVIE nähert sich diesem Thema mit einem Blick auf Persönlichkeitsrechte, Organspende für Transplantation und Forschung sowie Opt-in- und Opt-out-Systeme, wobei der Fokus auf dem österreichischen Rechtsrahmen liegt.

BBMRI.at Legal Helpdesk

 

Der BBMRI.at Legal Helpdesk Service – betrieben von Rechtsexpert*innen des BBMRI.at-Partners UNIVIE – beantwortet Fragen zu rechtlichen und regulatorischen Angelegenheiten im Zusammenhang mit Biobanking und/oder der Verwendung biologischer Proben und Daten. Dieser Service wird BBMRI.at-Partnern zur Unterstützung angeboten, da Biobanking und Forschung mit biologischen Proben und Daten (z.B. menschlich, tierisch/veterinär, mikrobiell, etc.) rechtliche Fragen aufwerfen können. Die Antworten von UNIVIE auf rechtliche Fragen werden in der BBMRI.at Knowledge Base veröffentlicht.

 

 

 

FRAGE:

Was sind die wichtigsten Bedenken bezüglich der Verarbeitung von Proben und Daten verstorbener Personen?

 

ANTWORT:

 

1. Verarbeitung personenbezogener Daten des Verstorbenen 

Zur Einhaltung der Datenschutzgesetze heißt es in Erwägungsgrund 27 der Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union (DSGVO), dass die DSGVO nicht für die Verarbeitung von Daten verstorbener Personen gilt. Das bedeutet, dass für die Verarbeitung solcher Daten keine Rechtsgrundlage, einschließlich Einwilligung, erforderlich ist. Bei Gesundheitsdaten, insbesondere genetischen Daten, wird jedoch häufig darauf hingewiesen, dass bestimmte personenbezogene Daten der lebenden Angehörigen abgeleitet werden könnten. Daher wäre es für den Verantwortlichen nach wie vor empfehlenswert, für solche Daten geeignete Schutzmaßnahmen im Sinne der DSGVO beizubehalten, wie etwa eine Pseudonymisierung oder den Ausschluss des Querabgleichs mit Daten anderer Dritter.

 

Zwar gilt die DSGVO nicht für Daten von Verstorbenen, doch sieht der 27. Erwägungsgrund der DSGVO vor, dass die Mitgliedstaaten auch eigene Regeln für die Verarbeitung solcher Daten festlegen können. Das österreichische Datenschutzgesetz (Datenschutzgesetz, DSG) macht von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch und es gibt auch keine speziellen Regelungen dazu.

 

Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist es je nach spezifischer Datenkategorie zulässig, die Daten von Verstorbenen ohne Einwilligung nach Aufklärung zu verwenden, da sie von der Definition von personenbezogenen Daten nach der DSGVO ausgeschlossen sind und das DSG diesbezüglich auch keine besonderen Regelungen vorsieht.

 

 

2. Verarbeitung von Proben und Geweben des Verstorbenen

Mögliche Beschränkungen für die Verwendung von Proben verstorbener Personen könnten sich nicht aus dem Datenschutzgesetz ergeben, sondern aus Persönlichkeitsrechten, die mit dem Zeitpunkt des Todes immer noch gelten. In Österreich gelten diese Rechte im Urheberrecht, aber auch im Zivilrecht (Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, ABGB). §16 ABGB schützt die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen, insbesondere die Menschenwürde, die Individualität und die Persönlichkeitsentfaltung[1] und umfasst auch den Schutz der Privatsphäre und der personenbezogenen Daten (wie er auch in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtscharta geschützt ist). Gemäß §16 und §17a ABGB enden die Persönlichkeitsrechte nicht mit dem Todeszeitpunkt, sondern es wird eine neue Schutzform geschaffen – der Schutz des guten Andenkens des Verstorbenen. Meissel führt aus, dass zum Recht auf eigene Entfaltung auch gehört, dass der Ruf und die Eigenschaften einer Person post mortem gesichert werden[2].

 

Der genaue Umfang der Persönlichkeitsrechte nach dem Tod kann eine Interessenabwägung zwischen öffentlichem Interesse und dem Interesse anderer sowie dem Recht der verstorbenen Person auf Schutz ihres guten Andenkens erfordern. Dazu gehört auch die Beachtung der Einwilligung bzw. der fehlenden Einwilligung in die Verarbeitung bestimmter Kategorien personenbezogener Daten. In § 17a ABGB wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Eingriffe im Interesse der Forschung zulässig sind, wobei die Verwendung von Proben zu Forschungszwecken in der Regel zulässig ist.

 

Darüber hinaus stützen die allgemeinen Richtlinien internationaler Organisationen die Verwendung von menschlichen Gewebeproben auf die Zustimmung des verstorbenen Spenders oder andernfalls auf die Zustimmung eines Dritten. Der Europarat hat 2006 eine Empfehlung des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zur Forschung an biologischem Material menschlichen Ursprungs herausgegeben. Darin heißt es in Artikel 13 Absatz 1: „Biologisches Material sollte dem Körper einer verstorbenen Person zu Forschungszwecken nicht ohne entsprechende Zustimmung oder Genehmigung entnommen werden“. Außerdem sollten derartige biologische Materialien „[…] nicht für Forschungszwecke entnommen oder bereitgestellt werden, wenn bekannt ist, dass die verstorbene Person dem widersprochen hat.“ (Artikel 13 Absatz 2) [ins Deutsche übersetzt][3].

 

Die Verwendung von Gewebeproben eines Verstorbenen für Forschungszwecke ist in einer Vielzahl von Ländern zulässig. Während die meisten Länder eine aktive Zustimmung des Spenders oder eine Genehmigung durch Dritte (z.B. durch Angehörige) voraussetzen, existieren in anderen Ländern alternative Mechanismen. Ein Beispiel dafür ist die Niederlande, die die Entnahme und Verwendung von Gewebeproben für bestimmte Forschungszwecke durch ein Opt-out-System ermöglichen. Dieses Opt-out-System[5]-, das vor allem für Organspenden zu Transplantations- oder therapeutischen Zwecken verbreitet ist, wird jedoch seltener auf die Nutzung von Organen und Geweben für Forschungszwecke angewandt. In einigen Ländern – z. B. in Portugal – gibt es ein Opt-out-System für Organtransplantationen[6], aber die Sammlung von Gewebeproben zu Forschungszwecken erfordert jedoch – mit einigen Ausnahmen- nach wie vor eine aktive Zustimmung der betroffenen Person oder deren Vertreter[5].

 

Gleiches gilt für Österreich. Die Organtransplantation in Österreich ist durch das Organtransplantationsgesetz (OTPG) [7] geregelt. Dieses Bundesgesetz legt die Bedingungen fest, unter denen menschliche Organe entnommen und für Transplantationszwecke verwendet werden dürfen[8]. Das OTPG gilt jedoch nicht für die Verwendung von Organen zu Forschungszwecken, es sei denn, sie sind zur Transplantation in den menschlichen Körper bestimmt[9]. Das OPTG stützt sich auf die „Widerspruchslösung“, die die Organentnahme erlaubt, solange die verstorbene Person oder sein gesetzlicher Vertreter vor seinem Tod die Organspende nicht ausdrücklich verweigert hat (Opt-out) [10]. Den höchsten Beweiswert stellt die Eintragung in das Widerspruchsregister der Gesundheit Österreich GmbH[11].

 

Die Entnahme von Organen zu Forschungszwecken, die nicht für die Transplantation in den menschlichen Körper bestimmt sind, erfordert eine Willenserklärung des Verstorbenen vor seinem Tod (Opt-in). Dies ist möglich, weil das Selbstbestimmungsrecht über den Tod hinausgeht. Daher ist es in Österreich nur möglich, den eigenen Körper zu spenden, indem man beim jeweiligen Anatomischen Institut in Wien, Graz oder Innsbruck eine Willenserklärung abgibt.

 

 

3. Ausgewählte ethische Aspekte und Schlussfolgerungen

Auch die in Abschnitt 1 erörterten Persönlichkeitsrechte sind eng mit ethischen Aspekten verknüpft. Neben datenschutzrechtlichen Bedenken ist die Verarbeitung der Daten verstorbener Personen aus ethischer Sicht zu betrachten, einschließlich der Pflicht zur Verschwiegenheit, zur Wahrung der Autonomie und Würde und unter Berücksichtigung des Willens der verstorbenen Person. In diesem Zusammenhang wird die Frage nach der Schweigepflicht wieder relevant. Es wäre ratsam, in den Einwilligungserklärungen nachzusehen, ob die Personen auch nach dem Tod in die Nutzung ihrer Daten eingewilligt haben, einschließlich der Überprüfung, ob sie ihre Zustimmung ausdrücklich für diesen Zweck verweigert haben.

 

Fazit: Auch wenn die Einwilligungserfordernisse aus rechtlicher, insbesondere datenschutzrechtlicher Sicht weitgehend nicht gelten, ist die Einwilligung ein wichtiger ethischer Aspekt, der nicht außer Acht gelassen werden darf.

 

 

4. Weitere Quellen

Hier sind einige weitere Quellen mit nützlichen Informationen zu diesem Thema:

 

Rechtliche:

Meissel in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, AB GB3 (Klang) § 16 Rz 1.

Koch in Bydlinski/Perner/Spitzer (Hrsg), KBB – Kurzkommentar zum ABGB (2023) zu § 17a ABGB.

 

Andere: 

Global Alliance for Genomics & Health, „GDPR Brief: Verarbeitung der Daten des Verstorbenen für wissenschaftliche Forschungszwecke – über die DSGVO hinaus?“ https://www.ga4gh.org/news_item/ga4gh-gdpr-brief-processing-the-data-of-the-deceased-for-scientific-research-purposes-looking-beyond-the-gdpr/.

Lars Ursin und Maria Stuifbergen, ‘Ethics of Dead Participants: Policy Recommendations for Biobank Research’ (2018) 44 Journal of Medical Ethics 695.

 

 

HinweisDies ist eine Übersetzung der ursprünglichen Antwort auf Englisch. Die ursprüngliche Antwort ist als PDF verfügbar (siehe unten). Im Zweifelsfall konsultieren Sie bitte die auf Englisch verfasste Version der Antwort.

Quellen: 

 

[1] Meissel in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, AB GB3 (Klang) § 16 Rz 1, Abs. 3.

[2] Ebenda, Absatz 172.

[3] Europarat. Ministerkomitee. Empfehlung Rec(2006)4 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zur Forschung an biologischem Material menschlichen Ursprungs und deren erläuterndes Memorandum, verfügbar unter: Rec(2006)4 EM E.pdf (coe.int) (Zugriff: 07.06.2024).

[4] Das Gesetz über Organspenden (Wet op de orgaandonatie) in den Niederlanden umfasst Organe, Gewebe und Zellen (Art. 1(b)). Solche menschlichen Materialien dürfen gemäß Artikel 13 des Gesetzes für Forschungszwecke verwendet werden. Verfügbar unter: wetten.nl – Regeling – Wet op de orgaandonatie – BWBR0008066 (overheid.nl) (Zugriff: 10.06.2024).

[5] In Irland als „angenommene Zustimmung“ bekannt. Vgl. Act 5 of 2024 – Human Tissue (Transplantation, Post-Mortem, Anatomical Examination and Public Display) Bill 2022 (bill 121 of 2022)

[6] Artikel 10 bis 14 des Gesetzes 12/93 vom 22. April. Das Opt-out-System für Organspenden zur Transplantation ist eine gängige regulatorische Lösung in Europa. Vgl. Shepherd, L., O’Carroll, R. E., & Ferguson, E. (2014)- An international comparison of deceased and living organ donation/transplant rates in opt-in and opt-out systems: a panel study. BMC Medicine, 12, 1-14.

[7] Artikel 3 des Decreto-Lei Nr. 274/99 vom 22. Juli.

[8] Bundesgesetz über die Transplantation von menschlichen Organen in der Fassung BGBl. I Nr. 37/2018, verfügbar unter: ris.bka.gv.at/geltendefassung.wxe?abfrage=bundesnormen&gesetzesnummer=20008119 (Zugriff: 29.5.2024).

[9] § 1 OTPG.

[10] § 2 (2) OTPG.

[11] § 5 (1) OTPG.

[12] § 6 OTPG.

HinweisDieser Kommentar soll eine Zusammenfassung der wichtigsten ethischen und rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit den von interessierten Kreisen gestellten Fragen bieten und sie auf die einschlägigen anwendbaren Rechtsvorschriften verweisen. Er schließt jedoch die Lektüre der offiziellen Rechtsquellen zu den in diesem Dokument behandelten Themen sowie der von den Autor*innen zitierten Rechtsquellen nicht aus und stellt keine Rechtsberatung dar.