Rechtliche Fragen & Antworten: Welche rechtlichen Bestimmungen gelten für Gentests und insbesondere für die Gesamtgenomsequenzierung sowie die Gesamt-Exomsequenzierung in Österreich?

Das wichtigste österreichische Gesetz für Gentests ist das Gentechnikgesetz, das Bestimmungen für Gentests zu medizinischen und zu Forschungszwecken enthält. Der BBMRI.at Legal Helpdesk behandelt dieses Thema im Folgenden ausführlicher.

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Der BBMRI.at Legal Helpdesk beantwortet Fragen zu rechtlichen und regulatorischen Themen rund um Biobanking und/oder Verwendung biologischer Proben und Daten  in der Medizin. Mit diesem Service unterstützt BBMRI.at seine Partner, denn Biobanking und Forschung mit biologischen Proben und Daten (z.B. menschlicher, tierischer oder mikrobieller Art) rechtliche Fragen aufwerfen können.

 

FRAGE:

 

Welche rechtlichen Bestimmungen gelten in Österreich für Gentests und insbesondere für die Gesamtgenomsequenzierung sowie die Gesamt-Exomsequenzierung?

 

 

1. Gentechnickgesetz (GTG) und Gentests für medizinische Zwecke in Österreich

 

ANTWORT:

 

In Österreich wird das Thema Gentests für medizinische Zwecke durch das Gentechnikgesetz (GTG) (1) geregelt, das erstmals im Juli 1994 veröffentlicht wurde (BGBl. Nr. 510/1994, in Kraft getreten 1995) und zuletzt im Jahr 2022 geändert wurde (durch Bundesgesetz BGBl. I Nr. 8/2022). Die für das vorliegende Thema relevantesten Bestimmungen des oben genannten GTG finden sich im Abschnitt IV des GTG (§§ 64 bis 79) (2).

 

Genetische Analyse  bedeutet nach § 4 Abs. 23 GTG  (3)“[…] Laboranalyse, die zu Aussagen über konkrete Eigenschaften hinsichtlich Anzahl, Struktur oder Sequenz von Chromosomen, Genen oder DNA – Abschnitten oder von Produkten der DNA und deren konkrete chemische Modifikationen führt, und die damit nach dem Stand von Wissenschaft und Technik Aussagen über einen Überträgerstatus, ein Krankheitsrisiko, eine vorliegende Krankheit oder einen Krankheits- oder Therapieverlauf an einem Menschen ermöglicht.“ (4)

 

Das GTG verbietet ausdrücklich Eingriffe in die menschliche Keimbahn (Artikel 64) und erlaubt humangenetische Untersuchungen zu medizinischen Zwecken nach dem Stand von Wissenschaft und Technik (Artikel 65) sowie genetische Analysen zu wissenschaftlichen oder Ausbildungszwecken (Artikel 66). Das GTG beschreibt vier Arten von Gentests für medizinische Zwecke: Gentests zur „[…] Feststellung einer bestehenden Erkrankung, der Vorbereitung einer Therapie oder Kontrolle eines Therapieverlaufs  […]“ (Übersetzung der Autoren), die auf Informationen über konkrete somatische Veränderungen der Anzahl, Struktur, Sequenz oder chemischen Modifikation von Chromosomen, Genen oder DNA-Abschnitten beruhen (Typ 1) und zur „[…] Feststellung einer bestehenden Erkrankung, welche auf einer Keimbahnmutation beruht“ (Typ 2). Die Typen 3 und 4 umfassen Tests für gesunde Personen, die ihre Prädisposition für eine Erkrankung (insbesondere die Prädisposition für den potenziellen künftigen Ausbruch einer genetisch bedingten Erkrankung) bestimmen oder den Trägerstatus einer Erkrankung feststellen möchten, für die aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Fortschritte eine Prophylaxe oder Therapie entweder verfügbar ist (Typ 3) oder nicht verfügbar ist (Typ 4).

 

Bei den beiden letztgenannten Typen dürfen die Analysen nur in vom Gesundheitsministerium dafür zugelassenen Einrichtungen (5) und nur auf Veranlassung eines*r Facharzt*in (Facharzt*in für Humangenetik oder behandelnde*r oder diagnostizierende*r Facharzt*in) durchgeführt werden, wie in Artikel 68 beschrieben.

Nach Artikel 69 Absatz 1 dürfen genetische Analysen der Typen 2, 3 und 4 – auch im Rahmen einer pränatalen Untersuchung – nur durchgeführt werden, wenn die Versuchsperson schriftlich bestätigt hat, dass sie zuvor von einem*r Facharzt*in für Humangenetik/Medizinische Genetik oder einem*r für das Indikationsgebiet zuständigen Facharzt*in (6) über „Wesen, Tragweite und Aussagekraft“ der Untersuchung aufgeklärt wurde und aufgrund einer ausführlichen Aufklärung über alle Untersuchungsergebnisse, medizinischen Fakten und möglichen medizinischen, sozialen und psychologischen Folgen (Artikel 69 Absatz 4) in der Lage sein muss, eine freie und informierte Zustimmung zur Durchführung zu erteilen. Das GTG bietet auch Orientierungshilfen für die Empfehlung an Verwandte der Testperson, Gentests durchzuführen (Artikel 70).

 

Die Weitergabe von Testergebnissen, die bei Gentests gewonnen wurden, unterliegt strengen Regeln, die in Artikel 71(4) festgelegt sind. Diese Daten dürfen nur an die Mitarbeiter*innen der Einrichtung, in der die Daten erhoben wurden (sofern sie unmittelbar an der Erhebung, Verarbeitung und Auswertung dieser Daten beteiligt waren), an die betroffene Person, den*die gesetzliche*n Vertreter*in der betroffenen Person (gemäß Artikel 69 Absatz 2), den*der Arzt*in, der die Gentests veranlasst hat, den*die behandelnde*n Arzt*Ärztin sowie an jede andere Person weitergegeben werden, der die betroffene Person ausdrücklich eine schriftliche Einwilligung dazu erteilt hat (wobei diese Einwilligung jederzeit schriftlich widerrufen werden kann) (7).

 

In der Praxis berichten die Expert*innen, dass es in Österreich zwei Hauptwege für Patient*innen gibt, um einen Gentest zu erhalten. Entweder suchen die Patient*innen  „[…] eine*n Arzt*in auf, welcher auf das für sie relevante Krankheitsgebiet spezialisiert ist“ (z. B. „[…] ein*e Patient*in mit Lupus-Symptomen wird der Rheumatologie zugewiesen, und eine genetische Diagnose kann von dort aus empfohlen und durchgeführt werden. Wenn die Testergebnisse vorliegen, schickt das Labor die Ergebnisse an den*die Arzt*in zurück, der/die die Diagnose angefordert hat, z. B. dem/der Rheumatolog*in, der die Ergebnisse dann den Patient*innen mitteilt“) (übersetzt von Englisch), oder alternativ könnten sich die Patient*innen dafür entscheiden, „[…] sich einer Gendiagnose direkt über ein humangenetisches Labor zu unterziehen, das das Ergebnis dann direkt an die Patient*innen weitergibt“ (8) (übersetzt von Englisch). Somit sind Gentests, die direkt an die Verbraucher*innen gerichtet sind, in Österreich verboten (9), wenn sie zu medizinischen Zwecken von Unternehmen mit Sitz in Österreich durchgeführt werden. Beachten Sie, dass es in Österreich den Beruf des „genetischen Beraters“ nicht gibt. Fachkräfte, die Gentests patientenorientiert durchführen, sind Arzt*innen mit einer Unterspezialisierung in Medizinischer Genetik (seit 2007, bzw. davor Medizinische Biologie) (10).

 

Nach § 99 GTG kann ein Gentechnikbuch veröffentlicht werden. Heute sind mehrere Kapitel dieses Buches (das Soft Law darstellt (11)) in deutscher Sprache verfügbar (12). Für die Thematik dieser Frage sind die Kapitel 1, 2 und 4 von besonderem Interesse.

Die Österreichische Gesellschaft für Humangenetik stellt eine Einverständniserklärung für Gentests zur Verfügung (13). Darin werden Fragen wie die Einholung der Einwilligung der Patient*innen zu einer erneuten Analyse der Proben/Daten zur potenziellen Aufdeckung neuer Befunde auf der Grundlage des technologischen Fortschritts der genomweiten Sequenzierung (z. B. Genomsequenzierung) behandelt. Das Formular deckt auch die Wiederverwendung von Proben und Daten für pädagogische und wissenschaftliche Zwecke ab.

 

 

2. Zusätzliche hilfreiche Quellen

 

Rechtliche

 

Europarat, Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin, 1999. Österreich ist dieser Konvention nicht beigetreten. Dennoch steht die österreichische Gesetzgebung im Einklang mit Artikel 12 der Konvention, in dem es heißt: „Untersuchungen, die es ermöglichen, genetisch bedingte Krankheiten vorherzusagen oder bei einer Person entweder das Vorhandensein eines für eine Krankheit verantwortlichen Gens festzustellen oder eine genetische Prädisposition oder Anfälligkeit für eine Krankheit zu erkennen, dürfen nur für Gesundheitszwecke oder für gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung und nur unter der Vorraussetzung einer angemessenen genetischen Beratung vorgenommen werden“.

 

Zusatzprotokoll zur Konvention über Menschenrechte und Biomedizin betreffend Gentests zu Gesundheitszwecken, Europarat, 2008 (SEV 203). Österreich ist kein Unterzeichnerstaat dieses Protokolls. Dennoch bietet es einen guten Einblick in die rechtlichen und ethischen Fragen, die das vorliegende Thema betreffen.

 

Andere

 

Leitlinien und Stellungnahmen der Österreichischen Gesellschaft für Humangenetik, abrufbar unter: http://www.oegh.at/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=9&Itemid=16

 

Ressourcen des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF), verfügbar unter: https://www.bmbwf.gv.at/Themen/Forschung/Forschung-in-%C3%96sterreich/Services/Gentechnik.html

 

Ressourcen des Umweltbundesamtes, abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt.at/

 

Bundeskanzleramt Österreich – Bioethikkommission, Stellungnahme der Bioethikkommission zu Gen und Genomtests im Internet, 10.05.2010, abrufbar unter: https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:821b891a-4217-49e7-abb2-1effe6f3fc4a/Stellungnahme_der_Bioethikkommission_zu_Gen-_und_Genomtests_im_Internet_vom_10._Mai_2010.pdf

 

Verfügbare Dokumente sind u.a. eine Stellungnahme zur somatischen Diagnostik von Tumorgewebe der BRCA1- und BRCA2-Gene und anderer Gene sowie eine Leitlinie zur molekulargenetischen Diagnostik mit Hochdurchsatz-Keimbahnmethoden, wie z.B. Next-Generation-Sequencing.

 

Weitere relevante Dokumente: Stellungnahme der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Fortpflanzungsmedizingesetz, das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch und das Gentechnikgesetz geändert werden (Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz 2015 – FMedRÄG 2015), verfügbar unter: https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:ecbae513-5ea7-4c76-867e-6316bff33baf/FMedRAEG_2015.pdf

 

Draft WHO principles for human genome data access, use and sharing, World Health Organization, 8 April 2024, available from: who-principles-human-genome-data-access–use–and-sharing_public-consultation_8-april.pdf (Englisch)

 

Hinweis: Dies ist eine Übersetzung der ursprünglichen Antwort auf Englisch. Die ursprüngliche Antwort ist als PDF verfügbar (siehe unten). Im Zweifelsfall konsultieren Sie bitte die auf Englisch verfasste Version der Antwort.

Quellen:

(1) Bundesgesetz, mit dem Arbeiten mit gentechnisch veränderten Organismen, das Freisetzen und Inverkehrbringen
von gentechnisch veränderten Organismen und die Anwendung von Genanalyse und Gentherapie am Menschen
geregelt werden (Gentechnikgesetz – GTG). Available from: RIS – Gentechnikgesetz – Bundesrecht konsolidiert,
Fassung vom 11.03.2024 (bka.gv.at) (Zugriff am 11.3.2024).

(2) Für die Zwecke dieses Dokuments wurden, sofern keine anderen Quellen referenziert werden, das GTG sowie andere österreichische Gesetze inoffiziell mithilfe von Google Translate und/oder DeepL Translate ins Englische übersetzt.

(3) Verfügbar unter: AustrianGeneTechnologyAct_English.pdf (eshg.org) (Zugriff am 11.3.2024).

(4) Die Präimplantationsdiagnostik wird durch das Fortpflanzungsmedizingesetz geregelt, d. h. das Bundesgesetz, mit dem Regelungen über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung getroffen werden, bekannt als das Fortpflanzungsmedizingesetz oder FMedG.

(5) Aufgelistet im Genanalyseregister, verfügbar hier: Genanalyseregister gemäß § 79 Abs. 1 Z 1 GTG – KVG (verbrauchergesundheit.gv.at) (Zugriff am: 22.03.2024).

(6) KALOKAIRINOU, Louiza, et al. „Gesetzgebung zur genetischen Direktuntersuchung für Verbraucher in Europa: eine fragmentierte regulatorische Landschaft.“ Journal of Community Genetics 9 (2018), S. 117-132, S. 122.

(7) Siehe auch SATZINGER, Gabriele. „Genetische Analysen-Die Rechtslage in Österreich.“ Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie 7.4 (2006), S. 14-18.

(8) MODELHART, Antonia, et al. „Erfahrungen von Patienten mit genetischer Diagnosestellung bei seltenen Krankheiten: Eine qualitative Interviewstudie.“ Orphanet Journal of Rare Diseases 19.1 (2024), S. 4.

(9) PRAINSACK, Barbara. „Die Macht der Vorhersage: Wie persönliche Genomik zu einer politischen Herausforderung wurde.“ Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 40.4 (2011), S. 401-415, S. 403.

(10) SCHWANINGER, Gunda, et al. „Der Beruf des genetischen Beraters in Österreich: Perspektiven der Interessensvertreter.“ Journal of Genetic Counseling 30.3 (2021), S. 861-871. Andere Fachleute können jedoch „Laborleiter“ sein, wie in Artikel 68a erklärt.

(11) GSCHMEIDLER, Brigitte / FLATSCHER-THOENI, Magdalena „Ethische und berufliche Herausforderungen der genetischen Beratung – der Fall Österreich.“ Journal of Genetic Counseling 22 (2013), S. 741-752.

(12) Verfügbar unter: Gentechnikbuch gemäß § 99 GTG – KVG (verbrauchergesundheit.gv.at) (Zugriff am: 13.03.2024).

(13) Verfügbar unter: fb einverstaendniserklaerung allgemein_25.11.2020.pdf (oegh.at) (Zugriff am: 22.03.2024).

Hinweis: Dieser Kommentar soll eine Zusammenfassung der wichtigsten ethischen und rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit den von interessierten Kreisen gestellten Fragen bieten und sie auf die einschlägigen anwendbaren Rechtsvorschriften verweisen. Er schließt jedoch die Lektüre der offiziellen Rechtsquellen zu den in diesem Dokument behandelten Themen sowie der von den Autor*innen zitierten Rechtsquellen nicht aus und stellt keine Rechtsberatung dar.